Dienstag, 3. Mai 2022

Neues aus dem ostfriesischen Outback (Teil 3)

"Sind Sie vom NABU?"

Jau, Kinners, das ist die Frage, die man mir hier im ostfriesischen Outback mit Abstand am häufigsten gestellt hat in den letzten 13 Jahren.  

Gefolgt von: "Wissen Sie, wo der Leuchtturm ist?"

Während mir die zweite Frage, die sich ausschließlich auf den Pilsumer Leuchtturm bezieht, nur von Touristen gestellt worden ist, sind es bei der ersten ausschließlich Landwirte und Jäger gewesen. 

Und es schwingt immer ein bestimmter Unterton mit. Für viele Landwirte und Jäger – nicht selten handelt es sich um Menschen, die beides in sich vereinen – ist der NABU so etwas wie ein Feindbild. Manchmal bin ich sogar gefragt worden, ob ich der oder der sei, also konkrete Personen, die hier in der Vergangenheit mal für Schlagzeilen gesorgt haben, aber das habe ich immer verneinen müssen. 

Ich erinnere mich da ganz besonders an einen extrem unsympathischen älteren Landwirt aus Großefehn, auf dessen Hosenträgern Wildschweinköpfe abgebildet waren. Da fehlten mir wirklich die Worte, als ich das sah.

Heute gibt es in diesem Blog wieder viel zu sehen:


male Pied Wagtail

So zum Beispiel diese männliche Trauerbachstelze, die sich im März (sehr wahrscheinlich) gleich eine ganze Woche in der Manslagter Kleipütte aufgehalten hat. 

Hundertprozentig sicher bin ich mir aber nicht, denn so richtig gut habe ich den Vogel erst an seinem letzten Aufenthaltstag gesehen. Rein theoretisch könnten es also mehrere Individuen gewesen sein, die sich an diesem Ort die Klinke in in die Hand gegeben haben.

Von vorne:



same

Und aus größerer Distanz fotografiert: 


same

Das folgende Bild zeigt entweder denselben Vogel oder einen anderen:


same or different specimen

Ende März, also wirklich am letzten Tag des Monats, meinte sich der Winter plötzlich daran erinnern zu müssen, warum er eben nicht der Sommer ist.

Huaaaah, Schnee auf dem Deich am Diekskiel:


the whole winter was like a warm fall, but at the end of March we sudendey had three days with much snow

Die letzten Strandpieper, die sich noch im Krummhörner Kunstheller aufhielten, staunten kaum weniger als ich selbst, denn es war der erste Schnee überhaupt im ausklingenden Winter, obwohl man zu dieser Jahreszeit eher schon von Frühjahr sprechen sollte:


Rock Pipit in da snow storm

Gott sei Dank blieb die Scheiße nicht liegen:


same

Diese Bilder sind dann auch die letzten, die ich von dieser Vogelart gemacht habe, mit und ohne Schnee:




second

Innerhalb recht kurzer Zeit begaben sich die Strandpieper dann nämlich auf ihren Weg Richtung Norwegen und so weiter.

Zwei attraktive Schwarzkopfmöwen sprangen vorübergehend in die Bresche:



Mediterranean Gull – both birds wore white colour rings, but I did not manage to identify the codes because of the great distance

Schon oft habe ich es bestimmt hier geschrieben, aber ich sehe diese Art immer noch so selten, dass ich mich wirklich über jede einzelne Begegnung freue wie Bolle.

Beide Vögel suchten im Leyhörn nach Nahrung und trugen je einen weißen Farbring, doch weil sie zu weit von mir entfernt waren und sich daraüber hinaus auch noch nach nur wenigen Minuten aus dem Staub machten, gelang es mir nicht, die Buchstaben oder Nummern auf den Ringen zu entziffern. Das ist schade, denn ich hätte schon gerne gewusst, woher die Vögel stammten.

Weiße Farbringe hat man einerseits in Polen, andererseits aber auch in Belgien und den Niederlanden an Schwarzkopfmöwenbeine montiert. 

Schlauer macht mich diese Information jetzt aber auch nicht.

Eine noch sehr junge Zwergmöwe hielt sich zeitgleich am selben Ort auf:



2nd year Little Gull

Im Gegensatz zu den Schwarzkopfmöwen suchte sie im Flug statt zu Fuß nach Regenwürmern, und im Gegensatz zu den Schwarzkopfmöwen blieb sie auch gleich mehrere Tage an diesem Ort. 

Erst als der ewige stürmische Wind plötzlich nachließ, zog der kleine Vogel weiter.

Ein Flussregenpfeifer:



Little Ringed Plover

In der Manslagter Kleipütte halten sich zurzeit zwei Paare auf:


same

Zwei Tage habe ich dort fotografiert, allerdings in einem Abstand von etwa zwei Wochen:


same

Inzwischen haben die im selben Gebiet brütenden Kiebitze vielleicht schon Nachwuchs, da will ich auch nicht weiter stören:


same

Das eine Männchen hat bereits im vergangenen Jahr in der Kleipütte erfolgreich gebrütet:


same

Woher ich das weiß?

Weil der Vogel mich direkt nach seiner Ankunft im März mächtig überraschte. Ich köderte ihn mit Mehlwürmern, und kaum hatte ich sie auf dem Boden ausgelegt, da kam er auch schon auf mich zugelaufen. 

Ich entfernte mich ein paar Meter, und jetzt gab dieser Flussregenpfeifer richtig Gas, um sofort einige Mehlwürmer hinunterzuschlingen. So kann sich nur ein Individuum verhalten, das ganz genau weiß, was ich da im Outback so treibe. Der Vogel kannte also das Spiel noch aus dem Vorjahr. Und er hat es in den langen Monaten, die er im Winterquartier verbracht hat, nicht vergessen!

Vowegen Spatzenhirn!

Exakt genauso erging es mir mit dieser hübschen Hybrid-Schaftstelze:


this hybrid Yellow Wagtail had already bred at the same spot in 2021

Doch dazu gibt es in einem anderen Beitrag mehr.



same male

Diese Flussregenpfeifer-Fotos machte ich am Abend.

Auf dem folgenden Bild erkennt man, dass die Sonne schon sehr tief gestanden haben muss. Ihre Strahlen erreichten nur noch den Kopf des Vogels, denn selbst die niedrigste Erhebung warf nun einen kilometerlangen Schatten: 



same

Nur einen Augenblick später war dann Schicht im Schacht.

Das zweite Shooting fand am ganz frühen Morgen statt:


same bird on another day



same


same


same 

Und hier bekam der Kollege plötzlich einen regelrechten Anfall:


same

Er rief plötzlich viel und duckte sich immer wieder, dann schoss er los, um abrupt wieder anzuhalten und sich abermals zu ducken.

Ich dachte, seine Frau sei gerade in der Nähe meines Verstecks aufgetaucht, doch als ich nach rechts blickte, stand da das andere Paar regungslos herum. Fotografieren konnte ich es aber nicht, die Vögel hielten sich knapp außerhalb der Reichweite meiner Linse auf.

Ein letztes Bild vom so vertrauten Männchen:


same 

Zwei weitere Flussregenpfeifer hielten sich einige Tage auf dem Deich bei Pilsum auf:



another couple

Vielleicht hatte man zuvor die Schafe einfach zu früh aus dem Stall gelassen.

Weil der Deich zu diesem Zeitpunkt noch richtig matschig war, dauerte es nur einen Tag, bis die Vierbeiner die Grasnarbe komplett zertreten hatten. Die offenen Bodenstellen zogen wiederum die Flussregenpfeifer an, aber umgehend auch mehrere Kiebitze und Kampfläufer.  

Nach einer Woche, man hatte die Schafe an einen anderen Ort verfrachtet, sah der Deich wieder so aus wie zuvor, und die Vögel waren wieder verschwunden.

Am 24. April saß ich auf der Deichkuppe bei Manslagt und beobachtete eine männliche Ringdrossel




male Ring Ouzel

Es war für mich erst die erste Ringdrossel des Jahres!

Viele Zugvögel kamen in diesem Frühjahr sehr spät an. Der Grund dafür war der bockige, nie nachlassende und eiskalte Wind aus nördlichen Richtungen. Überhaupt war das Frühjahr 2022 ein sehr kaltes, denn ich kann mich an kein Jahr erinnern, in dem ich ununterbrochen bis Anfang Mai einen dicken Pullover und eine dicke Jacke tragen musste.

Der Vogel flitzte da jedenfalls über den Asphalt und bemerkte mich gar nicht. Und ich bemerkte die tausend Augen nicht, die wahrscheinlich schon eine ganze Weile auf mich gerichtet waren.

Doch dann blickte ich mich um:



the Common Deichschaf

"Ich hab' dich lieb!"


so lovely


they all gonna be killed one day by Bolzenschussgerät, but they don't know it

Das Gewöhnliche Deichschaf, ich verleihe ihm hier ganz spontan Artstatus, hat übrigens eine waagerechte Pupille: 



the notorious eye of the Common Deichschaf

Wie auch alle Wildschafe und Wildziegen!

Und wie die geile Erdkröte, mit der das Deichschaf aber nicht näher verwandt ist. 

Oh, eine fliegende Tür:


flying door (White-tailed Eagle)

Auf den Seeadler werde ich immer dann aufmerksam, wenn sich der Himmel verfinstert. 

In diesem Fall waren es gleich zwei Individuen zusammen, nämlich die Brutvögel aus Rysum, die da einen kleinen frühmorgendlichen Ausflug unternahmen und dann zu ihrem noch kleineren Brutgehölz zurückkehrten.  

Am Ostersamstag befand ich mich abends wieder einmal bei Manslagt am Rande der Kleipütte. Während es überall lichterloh brannte und von den Eingeborenen sowie Touristen Hektoliter Alkohol vernichtet wurden, beobachtete ich einen Uferschnepfen-Kerl mit Farbringen:



male Black-tailed Godwit with colour rings, ringed  16th February 2021 in Spain (Extremadura)

Diesen Vogel hatte ich bereits eine Woche zuvor am Diekskiel entdeckt und abgelesen. 

Beringt worden war er am 16. Februar 2021 in der Extremadura und somit in Südspanien. Und bereits im Frühjahr 2021 hatte ein Gastbeobachter genau diese Uferschnepfe bei Pilsum beobachtet und auf Ornitho gemeldet. 

Am selben Abend stand ein Mäusebussard auf einem Hochsitz herum und verlieh dieser jagdlichen Einrichtuing endlich mal so etwas wie einen tieferen Sinn:



Common Buzzard 

Zur selben Zeit und am selben Ort sah ich schließlich noch diesen einsamen Wasserläufer, der aber leider gar kein Einsamer Wasserläufer war:



Green Sandpiper

Es war "nur" der europäische "Koseng", der Waldwasserläufer

Zwei Brandenten genossen Mitte April die Aussicht übers platte Land:


Shelduck

Und sie unterhielten sich: "Warum stehen wir hier oben?" wollte die Frau vom Mann wissen, doch der hatte schlechte Laune: "Halt' deinen Schnabel, du dumme Gans!"

Wenn die ersten Ringdrosseln recht spät in Ostfriesland ankamen, dann war diese männliche  Dorngrasmücke eher recht früh unterwegs:



my first Whitethroat this year popped up on 17th April

Ich fand sie am 17. April in einem Hausgarten direkt am Deich bei Manslagt. 

Am 5. April suchten ganz viele Goldregenpfeifer auf einem Acker bei Manslagt nach Nahrung:


tons of Golden Plovers had a rest on a field on a rainy day

Im Moment der Aufnahme regnete es. 

Und vielleicht war das sogar der letzte Regen hier, an den ich mich erinnern kann. 

Alles ist hier zurzeit wieder staubtrocken – man sieht das sehr gut, wenn die Bauern ihre Äcker bearbeiten –, und einige Gewässer haben schon wieder mächtig an Pegel verloren, so auch die Kleipütte in Manslagt. Weil die Temperaturen aber nach wie vor sehr niedrig sind, ungewöhnlich niedrig für diese Jahreszeit, ist die ganz große Dürre bislang ausgeblieben. 

Jetzt mal was Anderes:


on early morning a yellowish cloud came over from the close Netherlands, right out of the power station's chminey. This phenomenon is only visible on very early morning on cloudy days with light wind from the West. This picture is just my helpless effort to make the pollution visible

Manchmal, wenn die Bedinguneg die richtigen sind, kann man gelbe Wolken sehen im Bereich der Emsmündung. 

An Tagen mit sehr leichtem Westwind und bewölktem Himmel tauchen sie bei uns auf. Sichtbar sind sie aber nur am ganz frühen Morgen. Folgt man mit seinem Blick diesen in die Länge gezogenen Wolken, dann findet man auch schnell ihren Ursprung. Es ist der Schornstein des Kohlekraftwerkes im niederländischen Eemshaven. 

Ich kann nur vermuten, dass da auch Schefelhaltiges im Spiel ist. 

Ein Bekannter von mir aus Emden, der das Phänomen in der Vergangenheit auch schon mehrfach beobachtet hat, meinte mal spaßeshalber: "Die wollen die Kosten senken und schalten nachts die Filteranlage aus. Die halten uns für blöd und denken, wir kriegen nichts davon mit."

Schmetterlingsenthusiast Herbert Janssen aus Aurich, der in der Vergangenheit schon die eine oder andere sehr interessante Art in Ostfriesland entdeckt hat, hat mal wieder zugeschlagen: 





a pair of pretty Small Emperor Moth, found and photographed by Herbert Janssen in a bog near Aurich

In einem Moor bei Aurich fand er dieses unglaublich hübsche Paar!

Dabei handelt es sich um zwei Kleine Nachtpfauenaugen (Weibchen unten), entweder vor oder nach der Paarung. Findet man am Morgen zunächst nur ein Weibchen, dann braucht man nur auf die Ankunft des Männchens zu warten. Die Dame sondert unablässig Pheromone ab, was man auch sehen kann an den Bewegungen des "Hinterns", und die Kerle nehmen die winzigen Duftmoleküle selbst in großer Entfernung wahr!  

Zielstrebig machen sie sich auf der Stelle schwirrflatternd auf den Weg. 

Ich selbst habe diesen fliegenden "Berberteppich" erst ein einziges Mal in meinem Leben gesehen, ebenfalls in der Nähe von Aurich, allerdings in einem anderen Moor. Einen entsprechenden Bericht findet ihr in diesem Blog, wenn ihr euch auf die gezielte Suche begebt. 

Und: Habt ihr das Fahrrad im Hintergrund bemerkt?

Reiherenten auf einem der Manslagter Teiche:


Tufted Duck

Und zum Schluss gibt's die Auflösungsgeschichte zum Ziegenmelker:


not a Nightjar, but a clump of clay

Am 23. April hielt ich mich früh am Morgen im Bereich der Deichbaustelle bei Hamswehrum auf. 

Ich checkte die vielen dort rastenden Steinschmätzer durch und hoffte auf eine seltene Überraschung, doch die blieb leider aus. Enttäuscht ging ich weiter, und dann sah ich ihn. 

Beinahe mitten auf der Straße!  

Ich hob das Fernglas an und freute mich. Doch als ich mich dem vermeintlichen Ziegenmelker weiter annäherte, keimten Zweifel in mir auf. Irritiert schaute ich also abermals durchs Fernglas, und jetzt, aus viel geringerer Distanz, bemerkte ich meinen Irrtum: Es handelte sich lediglich um einen plattgefahrenen Kleiklumpen, und nur aus dieser einen Perspektive sah der so aus wie ein ruhender Ziegenmelker.

Lustig, gell? 

Man kann sogar den Flügel erkennen! Aber dessen Zeichnung passt natürlich nicht zu einem Ziegenmelker.

Es war nicht das erste Mal, dass ich tote Materie für einen Vogel gehalten habe. Und es wird wohl auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass mir so etwas passiert. Auch das ist ein Grund dafür, dass es im Outback niemals langweilig werden wird!

"Sind Sie vom NABU?" oder alternativ: "Bist du vom NABU?

Ich kann wirklich nicht mehr zählen, wie oft man mich das gefragt hat. 

Meine Antwort ist aber immer dieselbe gewesen in all den Jahren: "Ich bin noch viel schlimmer!"